Nach dem schrecklichen Terroranschlag von Solingen sind unsere Gedanken und unser Mitgefühl bei den Opfern und ihren Angehörigen. Gleichzeitig entbrennt erneut eine heftige Debatte um das Asyl- und Aufenthaltsrecht. Was es jetzt braucht, ist ein klares Bekenntnis zu den Grund- und Menschenrechten von Geflüchteten, statt einer Instrumentalisierung des Anschlags für einen Angriff auf diese Rechte.

Das Attentat von Solingen ist verstörend und schrecklich. In die Trauer um die Opfer mischt sich Wut auf einen fundamentalen Islamismus, der auf einem „Fest für Vielfalt“ das freiheitliche Zusammenleben in einer bunten Gesellschaft angegriffen hat. Also genau jene Werte, die auch Schutzsuchende im Allgemeinen an Deutschland schätzen und unterstützen.

Was nun notwendig ist, ist eine sorgfältige strafrechtliche Aufarbeitung dieser schrecklichen Tat und eine Analyse, wie es zu der Radikalisierung des Täters kommen konnte. Keinesfalls darf dieser Terrorangriff aber missbraucht werden, um pauschal Geflüchtete zu verdächtigen und ihre Grund- und Menschenrechte anzugreifen.

Denn dies geschieht, wenn die Zurückweisung Schutzsuchender an den deutschen Binnengrenzen, die Verweigerung des menschenwürdigen Existenzminimus oder die unbegrenzte Inhaftierung ausreisepflichtiger Personen als vermeintliche Lösungen präsentiert werden. Die Behauptung einer nationalen Notlage und die Aushebelung europäischen Rechts tragen zu dieser Dynamik weiter bei und sind nicht nur unbegründet, sondern politisch höchst verantwortungslos.

Ein solches Vorgehen sät Misstrauen und Feindseligkeit gegenüber Geflüchteten und denjenigen, die als solche wahrgenommen werden. Es spaltet die Gesellschaft, wiegelt Menschen gegeneinander auf und ist somit letztlich Wasser auf die Mühlen antidemokratischer Extremisten, seien sie nun islamistischer oder rechtsextremer Couleur.

Stattdessen ist ein klares Bekenntnis zu unteilbaren Grund- und Menschenrechten für alle Personen, unabhängig von ihrer Herkunft notwendig. Ein solches Bekenntnis ist unerlässlicher Teil unserer liberal-demokratischen und rechtsstaatlichen Gesellschaft, die letztlich uns allen Schutz vor staatlicher Willkür bietet. Hierzu braucht es auch einen individuellen Rechtsanspruch auf ein rechtsstaatliches Asylverfahren, die Schutzgewährung im Falle der Anerkennung und ein rechtsstaatliches Vorgehen bei Abschiebungen. Diese Einschränkungen staatlicher Verfügungsgewalt sind daher kein Zeichen von fehlender politischer Handlungsmacht, wie nun vielfach behauptet wird, sondern gerade essentieller Teil unserer freiheitlich-demokratischen Grundordnung.

Viel zu kurz kommt in der aktuellen Debatte, dass die Einwanderung nach Deutschland auch eine Erfolgsgeschichte ist, in der der weitaus größte Teil derjenigen, die in den letzten Jahren nach Deutschland gekommen sind, hier friedlich lebt und einen wichtigen Beitrag zu unserer Gesellschaft leistet, sei es in persönlicher, kultureller oder ökonomischer Hinsicht. Das zeigt: Integration gelingt, Tag für Tag. Damit dies auch weiterhin so ist, ist es wichtig, dass Geflüchtete nicht alleine gelassen oder isoliert werden, dass sie in Unterkünften gut betreut und psychosozial versorgt werden, unabhängige Beratung im Asylverfahren bekommen, Integrationsangebote schnell und auskömmlich finanziert zur Verfügung stehen und ein schneller und unkomplizierter Zugang zum Arbeitsmarkt gewährleistet wird.

Was es in der aktuellen Situation braucht, sind konstruktive Vorschläge statt eines Überbietungswettbewerbs rechtlicher Verschärfungen, an dessen Ende der Rechtsstaat nicht mehr zu erkennen ist. Gerade in Wahlkampfzeiten stehen Politiker*innen in der Verantwortung, eine rechte- und faktenbasierte Debatte zu führen - statt durch gefährliche Versprechungen das Selbstverständnis und den Zusammenhalt unserer Gesellschaft zu gefährden.

Autor*in

Portrait von Thorben Knobloch & Kerstin Becker

Thorben Knobloch & Kerstin Becker

Thorben Knobloch ist Referent für Asylpolitik, Flüchtlingshilfe und Asylverfahrensberatung. Kerstin Becker ist Abteilungsleiterin Migration und Internationale Kooperation.

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