Einsam will niemand sein, dennoch kann man sich im Alter nicht immer davor schützen. Einige Vereine, auf dem Land und in der Stadt, bieten passende Hilfe an. Ihre Mitarbeitenden kennen die Menschen, die „alleine hinter ihren Gardinen“ sitzen.
Christa Van der Steen fährt mit ihrem Wagen an einem großen Gebäudekomplex vorbei. Von der Maske beschlägt ihre Brille. „Das war früher unser Krankenhaus,“ sagt die ehrenamtliche Fahrerin für Lindlar Mobil (Limo), ein Fahrservice für Mobilitätseingeschränkte im ländlichen Raum. Mit dem Elektroauto bringt die Ehrenamtlerin meist ältere Menschen in Lindlar zum Reha-Sport, Arzt oder Einkaufen, früher auch zu gesellschaftlichen Treffs. Das ehemalige Krankenhaus ist nun ein Senior*innenhaus für betreutes Wohnen. Da könne man mieten oder Wohnungen kaufen, aber „für kaufen müsste man schon Millionär sein“, führt Van der Steen fort. Ihre Fahrgäste wohnen nicht hier, sondern in den eigenen vier Wänden – oftmals in Einfamilienhäusern und manchmal, wie die Ehrenamtlerin sagt, „mutterseelenallein.“
Für die Fahrten geht es durch den Kern der Stadt aber auch über weite Felder mit Hügeln in Satellitenörtchen. Van der Steen weiß, Menschen, die nicht mobil sind, brauchen hier im Oberbergischen Kreis den Fahrservice von Limo. Zwar gebe es hier auch einen Bürgerbus, aber auch da müsste man sich an Zeiten halten und zu den Stationen gehen, bei den Strecken und über Hügel unmöglich. Taxen sind für solche Wege in der Menge teuer. Und die Kinder wohnten entweder nicht vor Ort oder arbeiten Vollzeit. Rund 120 Fahrten bietet Limo im Monat umsonst an, wer möchte, darf spenden.
Wir fahren an kranken Fichtenhainen vorbei in ein nächstes kleines Örtchen, um einen Einkaufszettel abzuholen. Am Haus angekommen öffnet niemand die Tür. „Sie ist im Krankenhaus“, verrät uns schließlich der Untermieter der älteren Dame. Dann geht es erstmal zurück.
Bürgerliches Engagement, wo Kirchenarbeit wegbricht
Zwischenstopp im Ladenlokal des Vereins „Lindlar verbindet“. Der Verein bietet vieles an: Handyhilfe, Taschengeldbörse, Telefonzentrale, Digitalbegleitung, Repaircafé. „Gemeinsamkeit ist dabei unser erklärtes Ziel“, sagt Kai Zander. Er ist Quartiersentwickler und meint, der Verein sei grundsätzlich für jeden, wobei Ältere wahrscheinlich ihre Hauptzielgruppe seien. „Wir sind 2017 aus der Initiative Lindlar Mobil entstanden“, berichtet Mitbegründer Herbert Schmitz. Zuvor sei Limo in kirchlicher Hand gewesen, aber dann sei eine neue Trägerschaft gesucht worden. Wird mehr bürgerliches Engagement dort nötig, wo die Kirchenarbeit wegbricht?
„Auf den ersten Blick ist hier alles in Ordnung“, sagt Zander. Aber auf den zweiten Blick gebe es hier viel Einsamkeit und keiner rede darüber. Eine Frau sagte ihm einmal unter Tränen, dass sie sich freue, wenn der Müllwagen kommt, „dann wäre was los“. Zander sagt weiter: „Die schwierigste Aufgabe ist es, die Menschen dazu zu bewegen, Hilfe anzunehmen.“ Einsamkeit sei zwar allgegenwärtig, gelte aber dennoch auch als ein Zeichen für Schwäche. Wohl deshalb gebe es beim Verein mehr Helfer als Hilfesuchende. Er aber weiß: „Hinter den Gardinen herrscht in Lindlar oftmals Einsamkeit und Leid, und da wollen wir hin."
Rita Kaltenberg hat keine Probleme damit, über ihre Einsamkeit zu sprechen. Im Gegenteil: Sie wünscht sich offenkundig, dass „diese innere Leere“ endlich gefüllt wird. Die Kölnerin sitzt in einer Einzimmerwohnung im Wohnzimmer in der Domstadt am Tisch – hinter ihr ihr Bett, neben ihr der Aschenbecher, vor ihr der Fernseher. Immer Donnerstagsnachmittag kommt Jofina Sicnoongwe mit ihrem Hund Snape. „Als ihr das erste Mal da wart,“ so Kaltenberg gegenüber Jofina, „da ging es mir drei Tage richtig gut.“ Seitdem die 22-jährige Jofina Sicnoongwe ihr einmal die Woche Gesellschaft leistet, ist es vor allem der Hund, der die 77-Jährige erstrahlen lässt. Snape sitzt neben Kaltenberg und lässt sich ununterbrochen von ihr streicheln. „Tiere sind bessere Menschen“, gibt Kaltenberg zu.
Eine Herausforderung an die Persönlichkeit
In Bekanntschaft mit den beiden kam die Kölnerin über den Verein Freunde alter Menschen (Famev). Ria Oswald bringt hier immobile, ältere Menschen mit Ehrenamtlichen zusammen, meist jüngere Menschen. Das Wort Einsamkeit meidet Ria dabei, sie fragt ihre Klient*innen eher, ob sie sich manchmal alleine fühlten oder mit jemanden reden wollten. Natürlich sei aber „Einsamkeit“ ein Problem. „Bei uns sind viele Menschen unbeweglich, da wird es deutlich schwerer“, weiß sie.
Theoretisch hat Rita Kaltenberg viele Menschen um sich herum: „Unser Haus hier hat 88 Mietparteien, trotzdem kümmert sich keiner.“ Obwohl so viele Menschen in Köln wohnen, leben viele eben auch allein: Die Anonymität kommt hier vielleicht noch bedrückend hinzu. Aber es hat sich jemand gekümmert: Als Kaltenbergs Hausmeister erfuhr, dass sie einsam sei, riet er ihr, im Internet nach einem helfenden Verein zu suchen. Und Jofina? Die hat über Instagram einen Aufruf gesehen und den Verein kennengelernt.
Rita Kaltenberg krault wieder Snape. „Ich hätte gerne jemanden, der immer da ist“, gesteht die Kölnerin, die ein bewegtes Leben gelebt hat und eigentlich immer ein geselliger Mensch gewesen sei. Vieles habe sie schon versucht und einen Hund könne sie nicht haben, da sie mit ihm nicht mehr Gassi gehen, gar nicht raus gehen, kann. So habe die 77-Jährige seit Jahren keinen Laden mehr von innen gesehen. Nicht mal mehr ins andere Zimmer geht sie: Nachdem ihr Mann nach Pflege 2012 verstarb, hat sie den Raum nicht verändert. Gerne würde sie das Zimmer für jemanden neuen frei machen, aber niemand kommt. So sitzt sie tagtäglich an ihrem Platz, neben dem Tisch mit dem Aschenbecher, vor ihrem Schlafbett und dem Fernseher.
„Die, die wir besuchen“, sagt Ria Oswald von Freunde alter Menschen, „sind die Vergessenen oder die Unsichtbaren“. Wenn geliebte Menschen versterben sei zudem der Verlustschmerz und die Frage, ob man sich noch auf jemanden einlassen könne, oftmals zu groß. Da gehe man nicht einfach zum Senior*innentreff und guckt, dass man neue Freunde findet“, ergänzt Oswald. Niemand könne sich zu 100 Prozent vor Einsamkeit schützen, weder auf dem Land noch in der Stadt, egal in welcher Schicht und mit oder ohne Kinder. Wer ein Interesse an dem gesellschaftlichen Leben auch nur im Fernsehen habe und sich vielleicht auch besser allein beschäftigen kann, habe es da etwas leichter. Alt werden sei eine Herausforderung an die Persönlichkeit.
Am gefühlten Ende der äußersten Ortschaft von Lindlar wohnt Klemens Pütz am Hang zum Nirgendwo. „Direkt schonmal herzlichen Dank“, sagt er beim Einsteigen in das Limo-Mobil. Der 93-Jährige fährt das erste Mal mit. Erst im Frühjahr hat der Lindlarer auf Rat seiner Tochter sein Auto abgegeben, seitdem benutzt der ehemalige Schlosser für kleinere Strecken, wie zum Friedhof oder Einkaufen, seinen Vierradroller. „Ich bin so zufrieden“, berichtet er glaubwürdig. Er habe noch Kontakt zu seinen ehemaligen Mitarbeitern im Schlossereibetrieb. Zudem habe er 63-Jahre im Chor gesungen, auch hier treffe man sich noch. Auch in seinem Haus hält Pütz noch alles in Ordnung. Man sage ja immer: „Bei Gott ist kein Ding unmöglich und beim Schlosser ist alles möglich“, scherzt der 93-Jährige. So eine Einstellung mache das Altern sicherlich leichter, meint Christa Van der Steen von Lindlar Mobil.
Dieser Artikel ist im Verbandsmagazin "GemEinsamkeit" des Paritätischen Gesamtverbandes erschienen.
Die Weihnachtstage und der Jahreswechsel sind noch nicht lang her. Bei vielen von uns sind die Erinnerungen, wie wir sie im Kreis von Freunden und Verwandten verbracht haben, noch sehr präsent. Manche Menschen waren in dieser Zeit auch allein.
Einsamkeit ist ein zunehmendes gesellschaftliches Problem und eine große Herausforderung für die Wohlfahrt. Bis zu 20 Prozent der Bevölkerung ist dauerhaft von Einsamkeit betroffen.
Aber Einsamkeit ist auch eine Chance. Denn aus Einsamkeit kann schnell auch Gemeinsamkeit werden. Daran arbeiten etliche Mitglieder im Paritätischen Gesamtverband. Wir stellen in diesem Magazin ein paar Projekte vor.