Die drei zentralen Forderungen des Paritätischen Gesamtverbandes im Bereich Flucht und Migration zur Bundestagswahl lauten: individuelles Recht auf Asyl, dezentrales Wohnen und Familiennachzug erleichtern! Hintergründe zu den Forderungen der Themen Flucht und Migration erläutert Harald Löhlein, Abteilungsleiter Migration und Internationale Kooperation beim Paritätischen Gesamtverband.

"Menschenrechte kennen keine Herkunft." Unter diesem Motto stehen die migrations- und flüchtlingspolitischen Positionen des Paritätischen für die nächste Legislaturperiode. Menschenrechte kennen keine Herkunft. Das soll natürlich erst mal heißen, dass die Menschenrechte unabhängig von der Herkunft der Betroffenen gelten. Das klingt ganz banal, so ist es in vielen Rechtsgutachten und Rechten, Verträgen, Konventionen national und international formuliert, aber wir wissen alle, dass die Realität eine andere ist, dass die Rechte insbesondere von Geflüchteten und von denen, die eingewandert sind, an vielen Stellen Einschränkungen unterliegen.

 

Wo sehen wir jetzt also für die nächste Legislaturperiode den größten Handlungsbedarf? Ich beginne mit dem Flüchtlingsbereich: Weltweit sind 84 Millionen Menschen auf der Flucht und die meisten davon verbleiben in den Herkunftsregionen, das sind meistens ärmere Länder. Nur ein kleiner Teil, ungefähr 15 Prozent, kommen in die wirtschaftlich besser entwickelten Länder und nach Europa. Obwohl das nur ein relativ kleiner Teil ist, hat sich in Europa die Haltung verfestigt: "Es kommen zu viele. Wir müssen die Zahl der Geflüchteten einschränken. 2015 darf sich nicht wiederholen.“ Diese Haltung spiegelt sich auch in den Plänen wider, die die EU-Kommission vor wenigen Monaten zur zukünftigen Ausgestaltung der Asyl- und Migrationspolitik veröffentlicht hat. Darin ist vor allen Dingen vorgesehen, dass zukünftig Asylverfahren nur noch oder zu mindestens überwiegend an den europäischen Außengrenzen durchgeführt werden sollen und Flüchtlinge nur noch in die EU verteilt werden sollen, wenn sie denn anerkannt sind. Darüber hinaus sollen Flüchtlinge möglichst auch wieder an andere Staaten außerhalb der EU verwiesen werden, wenn man davon ausgeht, dass sie in diesen anderen Staaten schon während ihrer Flucht sicher waren. Das ist also nichts anderes als eine weitgehende Auslagerung des Flüchtlingsschutzes aus Europa hinaus.

Wir fordern dagegen, dass zum einen sichergestellt werden muss, dass alle Schutzsuchenden, die nach Europa in die EU kommen und hier Asyl beantragen, tatsächlich hier Zugang zu einem fairen Rechtsstaatverfahren haben. Diese Asylverfahren sollten auch nicht an den europäischen Außengrenzen stattfinden, denn wir haben in den vergangenen Jahren gesehen, was es heißt, wenn die Menschen dort monate- oder jahrelang in großen Lagern zusammengepfercht leben müssen. Deshalb: Diese Verfahren sollten in den Staaten der EU stattfinden. Die Flüchtlinge sollen zügig dorthin verteilt werden. Zu einem fairen Asylverfahren gehört natürlich auch, dass die Betroffenen Zugang haben zu einer unabhängigen, das heißt behördenunabhängigen, Asylverfahrensberatung wie sie von Verbänden und anderen NGOs angeboten wird.

Wenn die Flüchtlinge hier in Deutschland Asyl beantragen oder hier ankommen, dann landen sie im Augenblick in den sogenannten Ankerzentren. Das ist ein wohlklingender Name: Ankunfts-Entscheidungs- und Rückführungs-Zentren. In diesen Zentren sollen sie 18 Monate und länger verweilen. Sie sind dort weitgehend isoliert von dem Rest der Bevölkerung. Sie unterliegen dem Arbeitsverbot. Sie haben nur sehr eingeschränkten Zugang zu Bildungsangeboten. Das ist also eine sehr belastende Situation und es führt auch keineswegs zu einer Beschleunigung von Asylverfahren wie kürzlich eine Studie gezeigt hat. Daher sagen wir: Alle Asylsuchenden müssen spätestens nach drei Monaten aus diesen Einrichtungen umverteilt werden auf die Kommunen und dort muss dann gegebenenfalls das Asylverfahren weitergeführt werden und an diesem Ort haben die Asylsuchenden dann die Chance anzukommen und Fuß zu fassen. Deswegen spätestens nach drei Monaten: Raus aus den Ankereinrichtungen!

Ein weiteres großes Thema für die nächste Legislaturperiode ist die Situation der zahlreichen Geduldeten. Das sind in Deutschland zur Zeit ungefähr 240.000 Menschen und die Zahl steigt weiter an. "Geduldet" heißt, die Betroffenen haben nichts weiter als die Bescheinigung über die Aussetzung ihrer Abschiebung. Das ist kein Aufenthaltstitel. Es ist ein sehr unsicherer Status, mit dem die Betroffenen oft jahrelang leben müssen, weil sie eben nicht in ihre Herkunftsländer zurückkehren können. Wir fordern hier dringend Korrekturen an den bestehenden rechtlichen Regelungen, damit die Betroffenen dann auch zügig – spätestens aber nach fünf Jahren endlich ein sicheres Aufenthaltsrecht bekommen.

"Menschenrechte kennen keine Herkunft." Das gilt natürlich auch für ein ganz zentrales Menschenrecht – nämlich das Recht, mit der Familie zusammenzuleben. Das ist für Geflüchtete nicht vollständig gewährleistet. Für einen Teil der Flüchtlinge, die subsidiär geschützten, ist dieses Recht massiv eingeschränkt. Hier fordern wir, dass es wieder vollumfänglich gewährleistet wird, damit auch diese Gruppe von Flüchtigen einen vollen Umfang auf Rechtsanspruch auf Familienzusammenführung erlangt.

Natürlich haben wir auch im Migrationsbereich wichtige Anliegen. Eines davon betrifft in Deutschland lebende EU-Bürgerinnen und EU-Bürger, viele leben unter sehr prekären Verhältnissen, sie haben große Schwierigkeiten beim Zugang zu Sozialleistungen, wenn es Bedarf danach gibt. Wir fordern, dass auch diejenigen, die hier zur Arbeitssuche als EU-Bürger leben, Anspruch auf Sozialleistungen erlangen, wenn sie bedürftig sind. Der Zugang zu Sozialleistungen und auch der Zugang zu gesundheitlicher Versorgung ist häufig auch ganz praktisch dadurch eingeschränkt, dass eine angemessene Sprachmittlung fehlt. Deswegen fordern wir hier, dass ein Rechtsanspruch auf eine adäquate Sprachmittlung geschaffen wird. Und wenn wir schon beim Thema Sprache sind: Es gibt Integrationskurse in Deutschland. An denen können aber längst nicht alle Eingewanderten von Beginn an teilnehmen. Es ist wichtig, dass diese Kurse besser ausgestattet werden, damit sie ihre Arbeit auch in voller Qualität durchführen können. Die Zugänge müssen für alle eingewanderten Gruppen erweitert werden, notwendig ist dafür auch eine bessere finanzielle Ausstattung.

Einbürgerung ist ein weiteres wichtiges Thema im Bereich Migration. Nach wie vor sind die Einbürgerungszahlen in Deutschland noch sehr gering. Sie lagen vergangenes Jahr bei rund 100.000. Das ist auch im europäischen Vergleich sehr wenig. Ursachen dafür sind mangelnde Informationen und bürokratischen Engpässen, aber vor allem sehr restriktiv gestaltete Einbürgerungsbedingungen. Hier fordern wir Korrekturen. Insbesondere für die erste Generation müssen die Einbürgerungsvoraussetzungen gelockert werden und generell sollte Mehrstaatigkeit hingenommen werden. Das ist ein ganz zentrales Hindernis bei der Einbürgerung.

Wir stellen nun fest, dass das Thema Flucht und Migration und die entsprechenden Forderungen von den Parteien bisher kaum aufgegriffen werden – schon mal gar nicht in der Öffentlichkeitsarbeit. Ihre treibende Sorge ist dabei, dass das Thema zur Polarisierung führt und dann am Ende rechtsradikale Gruppen und Parteien davon profitieren. Und dennoch muss man sich dieser Probleme annehmen, denn die Anliegen der Betroffenen haben wir uns nicht am Schreibtisch ausgedacht, sie beruhen auf Erfahrungen auch der Paritätischen Mitgliedsorganisationen. Wenn wir diese Themen nicht stark machen, werden sie sich auch nicht zum Besseren verändern. Zentral ist dabei: Wir müssen das herrschende Bild überwinden, dass Einwanderung immer noch häufig als Bedrohung wahrgenommen wird. Und wir müssen deutlich machen, dass es bei unseren Forderungen nicht um ein Wunschkonzert geht, sondern dass bestehende Rechte, die längst formuliert sind, tatsächlich auch umgesetzt werden. Im Sinne auch der Überschrift über unser ganzes Kapitel eben: Menschenrechte kennen keine Herkunft!

Aktuell führt der Paritätische Gesamtverband die Themenwoche "Menschenrechte kennen keine Herkunft!" durch, diese findet im Rahmen der Bundestags-Offensive "Geh wählen, weil ALLE zählen" statt. Weitere Infos zur Kampagne: www.der-paritaetische.de/WeilAlleZaehlen


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Harald Löhlein

Harald Löhlein ist Abteilungsleiter Migration und Internationale Kooperation beim Paritätischen Gesamtverband.

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