Worauf warten wir noch? Die Zahlen gewaltbetroffener Menschen steigen, viele Schutzhäuser sind voll und Beratungsstellen am Limit. Das Gewalthilfegesetz liegt auf dem Tisch. Auch wenn es nicht perfekt ist: Das Gesetz wäre ein erster Schritt hin zu mehr Hilfe und Unterstützung für die Opfer und hoffentlich auch mehr Verlässlichkeit für die Träger.
Worauf noch gewartet wird? Das fragen wir uns im Paritätischen auch. Deutschlandweit gehören 134 Frauenhäuser und 202 Frauenberatungsstellen zu unserem Verband. Ihre Finanzierung beruht ganz überwiegend auf freiwilligen Leistungen der Länder und Kommunen. Nur in Thüringen, Schleswig-Holstein und Brandenburg existieren Gesetze oder eine Richtlinie, die die Häuser oder Beratungsstellen dauerhaft absichern. Außer in diesen drei Bundesländern hängt die Finanzierung vom politischen Gusto ab. In Zeiten knapper Kassen und dem Erstarken rechtsextremistischer und antidemokratischer Kräfte ist dies gewagt. Nein, mehr noch. Es ist brandgefährlich.
Zeit kostet Menschenleben
Was passiert wohl, wenn wir weiter warten und eine Partei Mehrheiten erhält, die bspw. Gleichstellungsbeauftragte in den Kommunen abschaffen will? Es ist leider nicht schwer zu erahnen. Dann werden Frauenrechte abgeschafft und die Rechte besonders vulnerabler Gruppen sind in Gefahr. Es braucht deshalb bundesweit verlässliche Finanzierungsstrukturen für den Schutz vor Gewalt. Und damit muss JETZT begonnen werden. Noch vor den Bundestagswahlen 2025. Das Projekt in die nächste Legislatur zu verschieben? Indiskutabel. Gewaltschutz ist Menschenrecht. Und bei den stets steigenden Zahlen in den polizeilichen Statistiken müssen Bundestag und Bundesregierung liefern. Opfer von Gewalt brauchen einen Rechtsanspruch auf Schutz und Hilfe. Und zwar JETZT! Und auch nicht erst in ein paar Jahren.
Gewalthilfegesetz: Neuerungen für mehr Gewaltschutz
Der vorgelegte Entwurf des Gewalthilfegesetzes würde hier einiges bieten: Einen bundesweiten Rechtsrahmen und den bereits benannten Rechtsanspruch auf Schutz und Hilfe. Eine Kostenheranziehung der Opfer für den Aufenthalt im Frauenhaus oder die Inanspruchnahme von Beratung wird ausgeschlossen. Auch werden im Gesetz die Bundesländer verpflichtet, ein Netz an ausreichenden, niedrigschwelligen, fachlichen sowie bedarfsgerechten Schutz- und Beratungsangeboten sicherzustellen. Diese Angebote sollen bundeslandübergreifend und wohnortunabhängig in Anspruch genommen werden können. Das ist genau das, was auch wir im Paritätischen seit Jahren fordern.
Gewalt kostet: Menschenleben und Geld
Worauf warten wir noch? Fehlender Gewaltschutz kostet Menschenleben. Das Lagebild geschlechtsspezifisch gegen Frauen gerichtete Straftaten hat im November die erschütternden Zahlen genannt, Stichwort Femizid: 2023 wurden 360 Mädchen und Frauen Opfer vollendeter Taten. Demnach gab es im vergangenen Jahr beinahe jeden Tag einen Femizid in Deutschland. Sicherlich hätten viele dieser Femizide mit Prävention und Täterarbeit verhindert werden können.
Neben körperlicher und psychischer Versehrtheit geht es aber auch um Geld, z. B. im Frauenhaus: Frauen zahlen in den meisten Bundesländern aus eigener Tasche für den Aufenthalt, wenn sie nicht Transferleistungen beziehen. Das bedeutet für 2023 in Zahlen: 14 Prozent der Frauen trugen die Kosten des Frauenhausaufenthalts komplett selbst, weitere 15 Prozent übernahmen anteilig Kosten. Insgesamt bezahlte mehr als jede vierte Frau ihren Aufenthalt teilweise oder ganz selbst. Ein unhaltbarer Zustand. Doch nicht nur die Opfer selbst, auch wir alle tragen die gesamtgesellschaftlichen Kosten. In Folge von Gewalterfahrungen entstehen z.B. auch Kosten aufgrund Traumata und Erkrankungen. Kosten, die in der Solidargemeinschaft gemeinsam getragen werden. Gäbe es genug Plätze, genug Beratung und vor allem genug Prävention, dann würde häusliche und sexualisierte Gewalt gar nicht erst entstehen. Mit Blick auf das Gewalthilfegesetz gilt: Der Ausbau der Infrastruktur kostet den Steuerzahler zunächst. Doch ist es gut investiertes Geld verglichen mit den Kosten, die häusliche und sexualisierte Gewalt insgesamt auslösen kann. Eine erste deutschlandweite Studie zu den Kosten häuslicher Gewalt gegen Frauen aus dem Jahr 2017 beziffert die jährlichen Kosten auf mindestens 3,8 Milliarden Euro. Der Ausbau und Erhalt des Systems, wie im Gewalthilfegesetz benannt, wäre vergleichsweise kostengünstig. So ist im von der Bundesregierung vorgelegten Gewalthilfegesetz von dreistelligen Millionenbeträgen die Rede.
Gewaltschutz und der Kampf gegen die Zeit
Auf was warten wir denn eigentlich noch? Der vom Bundesfrauenministerium einberufene Runde Tisch „Gemeinsam gegen Gewalt an Frauen“ hat in der vergangenen und dieser Legislaturperiode doch oft genug getagt, die Zivilgesellschaft hat laut, lauter, noch lauter gesagt, was gebraucht wird und am schlimmsten: Die Zahlen steigen und steigen.
Klar, der vorgelegte Gesetzesentwurf hat Schwachstellen: Rechtsansprüche sollen nicht unmittelbar ab Geltung des Gesetzes, sondern zeitlich verzögert gelten. Die Hürden für die Aufhebung einer Wohnsitzverpflichtung sind zu hoch und die Pflicht zur Teilnahme an Integrationskursen muss dringend aufgehoben werden. Auch muss ganz genau geschaut werden, wie die Regelungen aus dem SGB VIII und dem Gewalthilfegesetz mit Blick auf mitbetroffene Kinder besser synchronisiert werden können. Und das mit der auskömmlichen Finanzierung der Träger durch die Länder ist auch sehr offengehalten. Die Liste ist lang. Der Paritätische hat dazu eine Stellungnahme abgegeben. Trotzdem überwiegen die positiven Aspekte. Denn es geht nicht um irgendwas, sondern Menschenleben. Es geht nicht um das Ob, sondern um das Wann. Unsere Botschaft: JETZT ist die Zeit für Prävention, mehr Beratung und besseren Schutz. Deshalb brauchen wir dieses Gesetz jetzt. Weil Gewaltschutz Menschenrecht ist.