Seit mehr als 35 Jahren bietet die Cooperative Mensch eG in Tagesförderstätten an vier Standorten in Berlin Menschen mit Komplexen Behinderungen Teilhabe an Arbeit an – in Form von arbeitsweltorientierten Angeboten und arbeitsweltbezogener Bildung.

Artikelserie

Teil 1 unserer vierteiligen Artikelserie „Arbeit für Menschen mit komplexen Behinderungen“! In unregelmäßiger Reihenfolge möchten wir hier im Blog dokumentieren, wie unsere Mitgliedsorganisationen mit und für behinderte Menschen mit hohem Unterstützungsbedarf arbeiten. Diese Menschen leben mit einer oder mehreren starken Beeinträchtigungen und haben selten Zugang zu regulärer Arbeit. Wir berichten über Menschen, die solche Zugänge schaffen. Heute stellen wir die Cooperative Mensch aus Berlin vor.

Seit mehr als 35 Jahren bietet die Cooperative Mensch eG in Tagesförderstätten an vier Standorten in Berlin Menschen mit Komplexen Behinderungen Teilhabe an Arbeit an – in Form von arbeitsweltorientierten Angeboten und arbeitsweltbezogener Bildung. Ergänzend zu Arbeitsangeboten in verschiedenen Werkstätten (z.B. Strick, Holz, Keramik, PC, Hauswirtschaft) setzt die Tagesförderstätte die Idee der Kiezarbeit mit Dienstleistungsangeboten und Nachbarschaftshilfen im Sozialraum um.

Zu den langjährigen Aufträgen gehören dabei Projekte mit einem Quartiersmanagement, Stolpersteine putzen für eine Stolperstein-Initiative, Briefe versenden für eine Autowerkstatt, Regale entstauben und Bücher sortieren in der Bibliothek, Gartenpflege im Kleingartenverein, Wäsche waschen für eine Kita und das Vorlesen für Kitakinder.

Stolpersteine putzen und Blumen zum Gedenken niederlegen. Sibel legt nach dem Putzen die Blumen nieder.

Sibel zeigt auf das Symbol für Kiezarbeit und weist den Weg zum Schrank mit den Materialien. Die Utensilien für das Putzen der Stolpersteine befinden sich im Schrank und werden immer zu Beginn des Auftrags geholt und danach wieder aufgeräumt. Sibel weiß mittlerweile genau, wo sich alles befindet. Und bevor es zum nächsten Auftrag losgeht, holt sie zuallererst ihre Jacke, denn schließlich geht es raus.

„Gehen wir morgen wieder vorlesen?“, fragt Ljudmilla mit ihrem Kommunikationsgerät. Sie freut sich schon auf den Auftrag in der Bibliothek. Dabei liest sie mit ihrer Kollegin Carmen und unserem Kooperationspartner, Ulrich Droske vom Verein Deutsch-Polnisches Hilfswerk e.V. Kitakindern in der Stadtteilbibliothek Geschichten vor.

Regale entstauben in der Stadtteilbibliothek Reinickendorf-West in Berlin.

Die Mitarbeiterinnen der Bibliothek bereiten mit uns die Leseecke vor. Da werden Tische gerückt und Sitzpolster verteilt. Die Kinder bestaunen beim Hinsetzen die Rollstühle und vor allem die Kommunikationsgeräte von Carmen und Ljudmilla. Die elektronischen Stimmen hören sich komisch an. „Hallo. Ich heiße Carmen“, klingt es aus dem Talker. „Ich habe auch einen Computer zu Hause“, wissen einige Kinder aufgeregt zu berichten. Und so ist das Eis ganz schnell gebrochen. Ulrich beginnt die Geschichte (Schlimmer geht immer erschienen im Esslinger Verlag) vorzulesen. Es geht um kranke Tiere. Eine Zeile wiederholt sich immer wieder. Diese liest Carmen mit ihrem Talker am Ende jeder Seite vor: „Doch aufgepasst, es geht noch schlimmer!“ Mal sehen, welchen Tieren es in der Geschichte noch schlecht geht und wie sie getröstet werden. Am Ende gibt es Applaus und die Kinder verabschieden sich winkend. „Schön, dass ihr dabei seid! Wir haben hier zusammen ein tolles Angebot für die Kinder geschaffen,“ sagt Ulrich.

Ljudmilla mag den Leseauftrag in der Bibliothek besonders wegen der Kinder. Sie möchte den Kindern ihren Talker zeigen und sagen: „Wir sind genauso wie ihr.“

Angebote wie diese sind bei den Assistenznehmenden sehr beliebt: Kontakte werden geknüpft; das gesellschaftliche Leben außerhalb der Tagesförderstätte wird erlebbar; die Erfahrung, eine Dienstleistung anzubieten, kann gemacht und Wertschätzung für diese Arbeit kann erfahren werden. Und dann wird auch einfach mal gequatscht, gelacht und zusammen Kaffee getrunken.

Was ist eine Tagesförderstätte?

Tagesförderstätten, Beschäftigungs- und Förderbereiche oder auch „Förder- und Betreuungsbereiche“ sind Orte, die Teilhabeleistungen für erwachsene behinderte Menschen mit hohem Unterstützungsbedarf erbringen. Es gibt keinen bundesweit einheitlichen Standard zur inhaltlichen Ausrichtung der Angebote. Auch organisatorisch sind sie unterschiedlich aufgestellt: Es gibt Tagesförderstätten, die organisatorischer Teil einer Werkstatt für behinderte Menschen sind, andere sind Wohneinrichtungen angegliedert und es gibt Tagesförderstätte als selbstständige Organisationseinheiten. Klient*innen von Tagesförderstätten stehen anders als Beschäftige in Werkstätten für behinderte Menschen nicht in einem arbeitnehmerähnlichen Rechtsverhältnis zur Einrichtung. Sie sind damit auch ausgeschlossen von Leistungen der Sozialversicherungen.

Autor*in

Katharina Häuser

Katharina Häuser ist Rehabilitationspädagogin bei der Cooperative Mensch eG.

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