„Eine andere Welt ist möglich“ – dieses alte Motto des Weltsozialforums ist unverändert gültig. Die Politiken der Mitgliedsländer brauchen eine gute und gemeinsame Richtschnur, die ökologische und soziale Kriterien verbindet. Trotz Rückschlägen in der Umsetzung bleiben die Nachhaltigkeitsziele der UN ein wichtiger Bezugspunkt. Die Regierungen müssen sich in ihrer Praxis mehr an diesen Zielen orientieren.
Mit der Verabschiedung der Agenda 2030 der Vereinten Nationen im Jahr 2015 hat sich die Weltgemeinschaft das prioritäre Ziel der Armutsbekämpfung zu eigen gemacht. Die Halbzeitbilanz ist düster: Die Weltgemeinschaft ist weit davon entfernt, ihre selbst gesteckten Ziele im Kampf gegen Armut, Hunger und Ungleichheit zu erreichen. Schlimmer noch: Im Vergleich zum Jahr 2015 existieren bei mehr als 30 Prozent der Ziele keine Veränderungen oder es werden gar Rückschritte beobachtet, so ein aktueller Bericht der Vereinten Nationen zum Stand der Umsetzung der SDGs.
Armut global
Die Agenda 2030 hat sich u.a. zum Ziel gesetzt bis 2030 „extreme“ Armut – seit 2022 verstanden als ein Einkommen von weniger als 2,15 $ am Tag – vollständig abzuschaffen und andere Formen der Armut - in all ihren Dimensionen nach der jeweiligen nationalen Definition - bis 2030 zumindest zu halbieren.
In den vergangenen Jahrzehnten konnten durchaus Fortschritte in der globalen Armutsbekämpfung beobachtet werden: Nach Angaben der Vereinten Nationen ist der Anteil der Weltbevölkerung, der in extremer Armut lebt, von 36 Prozent im Jahr 1990 auf zehn Prozent im Jahr 2015 gesunken. Danach verlangsamte sich das Fortschrittstempo zunächst - 2021 lebten noch 8,8% der Weltbevölkerung in extremer Armut-, bis mit Beginn der Corona-Pandemie ein trauriger Rückwärtstrend begann. 2020, so die Vereinten Nationen, stieg die Zahl der Personen, die in extremer Armut lebten, auf 724 Millionen Menschen und damit auf 9,3% der Weltbevölkerung. Auch bedingt durch klimabedingte Katastrophen sowie den Angriffskrieg gegen die Ukraine und seine globalen Auswirkungen gehen die Vereinten Nationen davon aus, dass im Jahr 2030 nach wie vor 7% der Weltbevölkerung, sprich 575 Millionen Menschen in extremer Armut leben könnten. Wenn diese Prognose eintritt, wäre nicht nur das 2015 gesetzte Ziel der Beseitigung von extremer Armut verfehlt, vielmehr hätte sich seit 2015 die extreme Armut lediglich um magere 30% reduziert.
Armut in Deutschland
Unter anderem auch am Beispiel Deutschland zeigt sich, dass die Regierungen deutlich aktiver und ambitionierter werden müssen, um Armut nach der jeweiligen nationalen Definition zu halbieren. Von 127 Staaten, für die Daten zum Thema Armut vorliegen, werden lediglich ein Drittel das genannte Ziel bis 2030 erreichen, prognostizieren die Vereinten Nationen. Global gesehen können soziale Sicherungssysteme einen Beitrag dazu leisten Armut zu verringern. Jedoch profitierten im Jahr 2020 lediglich 47% der Weltbevölkerung von mindestens einer Komponente sozialer Sicherung.
Deutschland ist ein reiches Land mit einem, im globalen Maßstab betrachtet, sehr gut ausgebautem Sozialstaat. Gleichwohl sind auch in Deutschland die Früchte des Reichtums äußerst ungleich verteilt. Wie der Paritätische Gesamtverband mit seinen Armutsberichten regelmäßig dokumentiert, ist Armut in Deutschland ein weit verbreitetes Phänomen. Unter Armut wird dabei ein unzureichendes Einkommen verstanden, um ein gesellschaftlich normales Leben zu führen. Nach diesem Verständnis sind etwa 16,9 Prozent der Menschen im Land von Armut betroffen. In absoluten Zahlen entspricht dies etwa 14,1 Mio. Menschen. Zudem zeigt der Bericht einen besorgniserregenden Aufwärtstrend bei der Armut. Diese Entwicklung steht im diametralen Widerspruch zu den Zielen der SDGs.
Eine Strategie zur Bekämpfung von Armut in Deutschland? Fehlanzeige!
Die Bundesregierung entledigt sich dieses Problems, indem in der deutschen Nachhaltigkeitsstrategie das UN 2030-Ziel Armutsreduktion - zugespitzt formuliert - schlicht wegdefiniert werden. Armut wird interpretiert als „materielle Deprivation“. Damit ist das Fehlen von grundlegenden Gütern und Diensten in den Haushalten gemeint – etwa Verzicht auf einen Urlaub oder eine Waschmaschine aus finanziellen Gründen. Der angenehme Effekt dieser Definition: Die Verteilung des gesellschaftlichen Reichtums am unteren Ende wird nicht länger problematisiert. Und wie sieht es aus mit der angestrebten Halbierung der Armut bis 2030? Davon bleibt nicht viel. Eine Reduzierung der Armut taucht in der Nachhaltigkeitsstrategie als Ziel nicht auf. Die Bundesregierung nimmt sich als Ziel für das Jahr 2030 lediglich vor, auch 2030 noch besser dazustehen als die anderen EU-Länder. Das ist schlicht ambitionslos.
Seit Jahren dokumentieren auch die Armutsberichte der Bundesregierung das Ausmaß von Armut. Es fehlt aber regelmäßig eine politische Strategie zur Bekämpfung der Armut. Immerhin hat die Ampel-Koalition aus SPD, Grünen und FDP einige wichtige Vorhaben benannt, wie etwa die Erhöhung des gesetzlichen Mindestlohns auf 12 Euro. Diese Maßnahme ist aber von der parallel einsetzenden Inflation konterkariert worden. Auch sozialpolitische Reformen wie die Einführung des Bürgergelds oder der Kindergrundsicherung können einen spürbaren Beitrag zur Bekämpfung der Armut leisten. Dafür müssen aber die Leistungen deutlich erhöht werden. Denn gegen Armut hilft nun einmal vor allen Dingen Geld. Genau dieses zentrale Element – mehr Geld für arme Haushalte - fehlt aber bei den sozialpolitischen Projekten der Ampel. Es fehlt die Bereitschaft zu einer Umverteilung der bestehenden Ressourcen – hin zu einer gerechteren Einkommensverteilung im Land, hin zu der Finanzierung einer sozialökologischen Transformation und hin zu einer gerechteren Weltwirtschaftsordnung. Dies sind umfassende Gestaltungsaufgaben an die Politik der deutschen Bundesregierung. Dies ist aber der Auftrag der UN 2030-Strategie, an die Akteure der Zivilgesellschaft die Politik immer wieder erinnern müssen.
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Dieser Text erschien zuerst im Rundbrief des Forums Umwelt und Entwicklung