„Martin (ersetzter Name) ist voll schwul“, ruft ein Mitschüler durch die Klasse und alle anderen Mitschüler*innen kichern. Ein Bild, welches für Teamer*innen von Aufklärungsworkshops zu Themen rund um Vielfalt von Geschlecht und Sexualität in Schulen Alltag ist. Sie merken: Queerfeindlichkeit nimmt auf dem Schulhof nicht ab, sondern eher zu. Ein Beitrag von Xenia Peukert vom Verein PLUS Rhein-Neckar e.V.

Über 20 Jahre Schulaufklärung durch POWER UP

Seit über 20 Jahren bietet der gemeinnützige Verein PLUS Rhein-Neckar e.V. solche Workshops für Schulklassen und Fachkräfte mittlerweile in Mannheim, Heidelberg und Walldorf an. Zwei Teamer*innen verbringen im Rahmen des Angebotes POWER UP sechs Schulstunden in siebten bis zehnten Klassen. Das Ziel der Workshops ist die Stärkung von Respekt und Toleranz gegenüber Vielfalt durch Aufklärung und eine Reduzierung von Diskriminierung und Gewalt. Manche Schüler*innen haben in diesem Rahmen zum ersten Mal Kontakt zu queeren Menschen, außerhalb des Raumes sozialer Medien.

Im Rahmen des Workshops setzen sich die Teamer*innen mit den Schüler*innen anhand des Allgemeinen Gleichstellungsgesetzes mit Diskriminierung auseinander, sprechen über berühmte queere Persönlichkeiten, klären aber auch über die Bedeutung einzelner Begrifflichkeiten auf. Viele Schüler*innen melden zurück, dass sie dadurch viel neues Wissen erwerben können.

Neben theoretischem Wissen werden aber auch persönliche Berührungspunkte geschaffen. Sei es durch Videos von Erlebnisberichten queerer Personen während und nach ihren Coming-Out-Prozessen oder die Möglichkeit, den Teamer*innen anonym Fragen zu ihren Coming-Out-Geschichten zu stellen. Oft interessieren sich Schüler*innen besonders für die Reaktionen der Eltern und Freund*innen nach dem Outing, wollen aber meist auch wissen, wie die Teamer*innen herausgefunden haben, dass sie nicht cis-geschlechtlich oder heterosexuell sind.

Die Workshops stellen immer einen verbalen und emotionalen Seiltanz für Teamer*innen zwischen dem Wunsch, einen offenen, empathischen und wohlwollenden Austausch zu ermöglichen und sich selbst zu schützen, sollte es zu queerfeindlichen Aussagen oder Handlungen kommen.

„Queere Menschen nerven einfach“

In den letzten zwei Jahren zeigte sich dabei ein deutlicher Anstieg queerfeindlicher Vorkommnisse. Während einige Schüler*innen den Workshop interessiert verfolgen, in einen konstruktiven Austausch gehen und auch positives Feedback geben, werden gegenüber Teamer*innen immer häufiger auch Sätze geäußert wie „Diese Transen sind doch nicht normal“ oder „Queere Menschen nerven einfach“.

Sowohl im Austausch mit den Teamer*innen als auch mit anderen Schüler*innen werden Vorurteile und Stereotype von Schüler*innen reproduziert, welche oft durch die sozialen Medien verbreitet und auch verstärkt werden. Queere Schüler*innen berichten von täglichen Beleidigungen durch ihre Klassenkamerad*innen.

Oft spiegeln sich in den Haltungen der Schüler*innen auch die Einstellungen ihres nahen Umfeldes wieder. Manche Eltern entschuldigen ihre Kinder für die Workshop-Tage, andere kritisieren rückwirkend oder bereits vorab die Workshopinhalte. Diese seien altersunangemessen, der Kontakt zu queeren Menschen zu früh, manche Eltern sprechen sogar von „Körperverletzung“.

Und das obwohl Aufklärung über sexuelle und geschlechtliche Vielfalt als ein Teil des Bildungsplanes festgehalten sind und viele Befragungen die positiven Auswirkungen von Workshops zu queeren Themen, wie beispielsweise weniger Mobbing an Schulen, unterstützen.

Vor dem Hintergrund solcher Entwicklungen und der hohen Wirksamkeit queerer Bildungsarbeit wird diese zunehmend wichtiger, jedoch zugleich zunehmend schwerer leistbar. Teamer*innen können durch die gestiegene Belastung weniger Workshops halten und es kommt, wie auch im Rahmen anderer Aufklärungsangebote zu sexueller und geschlechtlicher Vielfalt berichtet wird, zunehmend zu Personalengpässen. Diese führen teilweise zu langen Wartezeiten, manche Anfragen müssen ganz abgelehnt werden. Und das obwohl der Bedarf nach professionellen Angeboten groß ist und immer weiter ansteigt.

Sichtbarkeit braucht Sicherheit

Ein guter Umgang mit vulnerablen Themen, wie der eigenen geschlechtlichen Identität und sexuellen Orientierung, braucht jedoch einen sicheren Rahmen, sowohl für queere Menschen, welche Bildungsarbeit leisten, als auch für Schüler*innen, welche sich mit diesen Themen auseinandersetzen. Mehr Sichtbarkeit für queere Menschen stärkt zwar deren Rechte, aber braucht vor allem Sicherheit im Umgang mit erlebter Ablehnung.

Um diese Sicherheit auch in Zeiten zunehmender Queerfeindlichkeit zu gewährleisten braucht es eine gute Vernetzung mit anderen Interessensgruppen, wie Fachkräften und Eltern, und eine bessere strukturelle und finanzielle Unterstützung von Bildungsarbeit zu Themen sexueller und geschlechtlicher Vielfalt.


Mehr erfahren:

  • Alle Infos zum Verein PLUS Rhein-Neckar e.V. finden sich auf deren Website.
  • Der Verein ist auf auch Facebook präsent.
  • PLUS Rhein-Neckar e.V. kann auf Instagram gefolgt werden.

Passend dazu: CSD Berlin am 27. Juli – der Paritätische und viele Mitgliedsorganisationen sind dabei!

© Foto: Stephanie von Becker

Der Paritätische Gesamtverband ruft zur Teilnahme am CSD Berlin auf. Dieses Jahr steht die Pride-Veranstaltung unter dem Motto “Nur gemeinsam stark – für Demokratie und Vielfalt”.

Alle Infos dazu gibt's auf der Website des Paritätischen Gesamtverbandes.

Themengebiete

Ähnliche Beiträge