Für Menschen, die schon vor Corona einen schweren Stand in der Gesellschaft hatten, hat sich ihre Situation durch den Ausbruch der Corona-Pandemie oft noch einmal deutlich verstärkt. Auch und besonders für Konsumierende sog. „harter Drogen.“ 2015 waren es über 20.000 Menschen, die Heroin, Kokain, Crystal Meth und Ähnliches nehmen. Aber nicht nur Konsument*innen stehen aktuell vor besonderen Herausforderungen. Das gilt auch für diejenigen, die ihnen täglich helfen, so wie das Kontaktcafé Flow in Würzburg.

Die Bezeichnung Kontaktcafé trifft derzeit nur eingeschränkt zu. Der Kontakt findet hauptsächlich durch eine Plexiglasscheibe mit Durchreiche statt. Dort bekommen Drogenkonsument*innen eine tägliche warme Mahlzeit. Grundsätzlich ist das Flow aber ein Café und ein Schutzraum, wo man Kaffee trinken, etwas essen, konkrete Hilfe bei Behörden und Alltagsproblemen bekommen oder einfach nur quatschen kann. Das Kontaktcafe Flow ist eine Einrichtung von Condrobs, einem Träger von vielfältigen sozialen Hilfen in Bayern. „Bei Condrobs haben wir einen akzeptanzorientierten Ansatz, wir akzeptieren alle, so wie sie sind – auch ihren Konsum“, erklärt Stella Meckelein, die als Sozialarbeiterin dort beschäftigt ist. Das bedeutet auch, dass eine Auseinandersetzung mit der Suchterkrankung und ein möglicher Entzug in einer Entgiftungseinrichtung zwar angeboten, aber nicht eingefordert wird. „Bei uns im Kontaktcafe braucht es keinen Veränderungswunsch. Wer aber etwas am eigenen Konsum ändern möchte, bekommt natürlich unsere Unterstützung.“

Von der Inklusion in die Drogenhilfe

Stella Meckelein ist gebürtige Würzburgerin. Sie studierte in Frankfurt am Main, wo sie in der Straffälligenhilfe anfing. „In meinem ersten Job habe ich meine ersten Berührungspunkte mit dem Thema gehabt, weil Straffälligkeit und Drogenkonsum zum Teil zusammenhängen“, erklärt die junge Frau. Nach ihrer Rückkehr in die bayrische Heimat mit frischem Abschluss in der Tasche erfuhr Frau Meckelein aus der Zeitung, dass ein Kontaktcafé für Drogenkonsument*innen in ihrer Heimatstadt eröffnen würde und bewarb sich erfolgreich.

Das Kontaktcafé Flow ist noch ein junges Projekt. Erst im August 2019 wurde das Café in Würzburg eröffnet. Die Feierlichkeiten zum ersten Geburtstag müssen wohl ausfallen. Aber obwohl die Räume derzeit geschlossen sind, steigt die Zahl der Besucher*innen weiter an. „Vor Corona hatten wir im Schnitt 30 Besuche- rinnen und Besucher am Tag, jetzt sind es mittlerweile über 50.“, sagt die 27-Jährige. Es sind nicht nur Konsument*innen illegalisierter Drogen, auch Obdachlose stehen jetzt um eine warme Mahlzeit an, da viele soziale Einrichtungen geschlossen wurden. „Es gab beispielsweise keine Stellen mehr, wo man so etwas simples wie heißes Wasser bekommen konnte. Deswegen kamen viele Menschen ohne Wohnung zu uns, um einfach ihre Thermoskannen aufzufüllen“, erklärt Meckelein.

Drogenkonsum steigt in Corona-Zeiten

Trotzdem liegt das Hauptaugenmerk auch in Corona-Zeiten im Flow auf den Drogenabhängigen und ihren spezifischen Problemen. „Die meisten unserer Besucher*innen haben neben der Suchterkrankung diverse Probleme wie Obdachlosigkeit, Verschuldung oder Probleme mit der Justiz. Derzeit ist es jedoch kaum möglich Termine oder Unterstützung zu erhalten, sodass es unsere Zielgruppe besonders hart trifft“, erklärt Stella Meckelein. Zahlreiche Hilfestellen in Würzburg wurden quasi über Nacht geschlossen, und auch der Aufenthalt im Café Flow ist derzeit nicht möglich. Viele haben mangels Alternative fast ihren ganzen Tag in den Räumen verbracht und die Essensausgabe durch das Fenster ist notwendig, aber kein Ersatz für einen Rückzugsort. Und allgemein gilt, so Meckelein: „Die Ungewissheit und der derzeitige Mangel an Ablenkung und Beschäftigung ist für unsere Zielgruppe überhaupt nicht gut“ Manche ihrer Klient*innen hatten auch Arbeitsstellen, die sie nun verloren haben. In der Folge, so stellt das Team bei Flow fest, würde mehr konsumiert. Im Flow werden auch ungebrauchte Spritzen und Kanülen herausgegeben und die Nachfrage ist stark angestiegen. Andere, die regelmäßig Besucher*innen im Café waren, bleiben weg und sind so für die Sozialarbeiter*innen auch nicht mehr zu erreichen. „Wenn ich jemanden lange nicht sehe, mache ich mir natürlich Sorgen“, meint Stella Meckelein.

Für einige gibt es auch die Möglichkeit, im Café als sog. „Arbeitsgelegenheit“ mitzuarbeiten. Ein solches Beschäftigungsprogramm gibt Konsumierenden und Hilfesuchenden oft neue Perspektiven. Wer möchte, kann für drei Stunden am Tag im Flow Aufgaben übernehmen. Und speziell für das Café hatte Corona sogar einen Vorteil. „Wir konnten dank der Aktion Mensch unter anderem einen Koch auf einer halben Stelle einstellen, der in der Arbeitsgelegenheit war. Der hat sozusagen von Corona profitiert“, lacht Stella Meckelein.


Das Verbandsmagazin "Corona und die Wohlfahrt" des Paritätischen Gesamtverbandes © Der Paritätische

Dieser Artikel ist im Verbandsmagazin "Corona und die Wohlfahrt" des Paritätischen Gesamtverbandes erschienen.

Wie in vielen Bereiche hat sich auch für die Wohlfahrt der Alltag durch Corona faktisch über Nacht verändert, sowohl für die Einrichtungen und deren Mitarbeiter*innen als auch deren Klient*innen. Viele mussten ihr Angebot stark einschränken, umbauen oder ganz schließen. Die Verwaltungen mussten sich weitestgehend digital organisieren. Aber einige nutzten die Situation auch, um neue Ideen zu entwickeln. Auch davon wollen wir in dieser Ausgabe des Verbandsmagazins berichten.

Wir haben für unser Magazin Paritätische Mitglieder besucht, die nun Masken nähen und waren in Altenpflegeeinrichtungen, die Senior*innen, die gerade keinen Besuch bekommen können, mit viel Engagement und Herz unterhalten. Sie haben das Beste aus der Situation gemacht und viele tolle, kreative Ideen entwickelt. Wir fragen nach, wie Einrichtungen für Wohnungslose sowie Drogenabhängige mit dieser Situation umgehen und haben Fachartikel zu Kitas, Frauenhäusern und der Flüchtlingshilfe.

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Portrait von Philipp Meinert

Philipp Meinert

Philipp Meinert verantwortet beim Paritätischen Gesamtverband den Bereich Presse und Redaktion. Für das Verbandsmagazin des Paritätischen Gesamtverbandes schreibt er Artikel und führt Interviews.

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